Die Fas­ten­zeit ist ein sehr guter Zeit­raum, um sich selbst zu beobachten“

 

Autor: Tho­mas Arz­ner, Bis­tum Osnabrück

Kein Alko­hol, nichts Süßes, weni­ger Han­dy: In der Zeit von Ascher­mitt­woch bis Ostern wol­len vie­le Men­schen ihren unge­lieb­ten Gewohn­hei­ten abschwö­ren. Aber was pas­siert, wenn die „sie­ben Wochen ohne“ vor­bei sind? Abdul­qa­de­er Butt von der Sucht­am­bu­lanz des Cari­tas­ver­ban­des für die Stadt und den Land­kreis Osna­brück weiß Stra­te­gien, um den Ver­zicht auch in den All­tag ohne Fas­ten­zeit zu retten.

Fastenzeit, Alkohol, Kronkorken, Verzicht

Herr Butt, was ist der Unter­schied zwi­schen einer schlech­ten Ange­wohn­heit und einer Sucht?

Eine schlech­te Ange­wohn­heit ist ein Ver­hal­ten, das sich durch häu­fi­ge Wie­der­ho­lung in den All­tag ein­ge­schli­chen hat. Es läuft oft unbe­wusst ab und ist oft mit ange­neh­men Gefüh­len oder kur­zen Beloh­nungs­ef­fek­ten ver­bun­den – etwa das Glas Wein nach dem Essen, die Ziga­ret­te zum Kaf­fee oder der Griff zum Han­dy in jeder frei­en Minu­te. Sol­che Ver­hal­tens­wei­sen sind nicht zwangs­läu­fig schäd­lich, aber sie kön­nen zur Belas­tung wer­den, wenn sie unkon­trol­liert ablau­fen oder ande­re wich­ti­ge Lebens­be­rei­che stören.

Eine Sucht hin­ge­gen ist eine ernst­zu­neh­men­de Erkran­kung, die sich durch meh­re­re typi­sche Merk­ma­le aus­zeich­net. Dazu gehört in ers­ter Linie der Kon­troll­ver­lust – also die Tat­sa­che, dass eine betrof­fe­ne Per­son nicht mehr frei ent­schei­den kann, ob sie kon­su­miert oder nicht. Auch das Nach­las­sen von Inter­es­se an frü­her wich­ti­gen Tätig­kei­ten, das Ver­nach­läs­si­gen von Ver­ant­wor­tung im Beruf oder im sozia­len Umfeld und das Auf­tre­ten von Ent­zugs­er­schei­nun­gen zäh­len zu den zen­tra­len Kenn­zei­chen einer Sucht. Wäh­rend eine schlech­te Gewohn­heit noch rela­tiv leicht durch bewuss­te Ent­schei­dun­gen ver­än­der­bar ist, erfor­dert die Sucht meist pro­fes­sio­nel­le Hilfe.

Wie ver­läuft der Über­gang zwi­schen Gewohn­heit und Abhängigkeit?

Der Über­gang von einer Gewohn­heit zur Sucht kann schlei­chend ver­lau­fen. Gera­de wenn ein Ver­hal­ten regel­mä­ßig zur Stress­be­wäl­ti­gung oder als emo­tio­na­ler Aus­gleich ein­ge­setzt wird, steigt das Risi­ko, dass dar­aus eine Abhän­gig­keit ent­steht. Des­we­gen ist es so wich­tig, acht­sam mit den eige­nen Gewohn­hei­ten umzu­ge­hen und Warn­zei­chen ernst zu nehmen.

Was sind Schrit­te, um Abhän­gig­keit zu überwinden?

Der ers­te Schritt ist die Ein­sicht, dass ein Pro­blem besteht. Das ist kei­nes­wegs banal, son­dern ein inne­rer Pro­zess, der häu­fig Zeit braucht. Oft spü­ren Betrof­fe­ne zunächst nur, dass sich ihr Ver­hal­ten ver­än­dert hat – etwa dass sie häu­fi­ger trin­ken, gereiz­ter sind oder ohne das Sucht­mit­tel nicht mehr ent­span­nen kön­nen. Wenn die­ses Bewusst­sein wächst, kann der nächs­te Schritt fol­gen: sich Hil­fe zu holen.

Eine pro­fes­sio­nel­le Bera­tung, etwa bei einer Sucht­be­ra­tungs­stel­le, hilft dabei, die eige­ne Situa­ti­on ein­zu­ord­nen, Risi­ken zu erken­nen und ers­te Ver­än­de­rungs­schrit­te zu pla­nen. Dabei ist es ent­schei­dend, alter­na­ti­ve Stra­te­gien für den All­tag zu ent­wi­ckeln. Denn wenn der Kon­sum weg­fällt, ent­steht oft eine gro­ße Lücke – zeit­lich, emo­tio­nal und sozi­al. Die­se muss sinn­voll gefüllt wer­den, etwa durch neue Hob­bys, Bewe­gung, Gesprä­che oder Acht­sam­keits­pra­xis. Auch das Durch­hal­ten über län­ge­re Zeit­räu­me wird dadurch erleich­tert, dass man sich bewusst macht: Je län­ger ich abs­ti­nent blei­be, des­to ein­fa­cher wird es.

Sind denn die 40 Tage der Fas­ten­zeit dafür ein guter Zeitraum?

Ja, die Fas­ten­zeit ist ein sehr geeig­ne­ter Zeit­raum, um sich selbst zu beob­ach­ten und her­aus­zu­fin­den, wie stark bestimm­te Ver­hal­tens­wei­sen im All­tag ver­an­kert sind. Wenn man sich vor­nimmt, bewusst auf ein bestimm­tes Ver­hal­ten oder Genuss­mit­tel zu ver­zich­ten – etwa Alko­hol, Zucker oder digi­ta­le Medi­en – kann man sehen, wie es einem damit geht. Gelingt der Ver­zicht, wächst das Ver­trau­en in die eige­ne Ver­än­de­rungs­fä­hig­keit. Und wenn man merkt, dass es kaum aus­zu­hal­ten ist, zeigt sich, wie groß der Ein­fluss die­ses Ver­hal­tens auf das eige­ne Leben ist – was ein wich­ti­ges Signal sein kann, wei­ter­ge­hen­de Unter­stüt­zung zu suchen.

Nun reden wir von der Fas­ten­zeit, wo die Men­schen oft­mals „nur“ auf Süßes ver­zich­ten oder ande­res, was sie sich ange­wöhnt haben. Aber auch da kann schon ein Ver­lan­gen auf­kom­men. Wie über­win­det man das?

In sol­chen Situa­tio­nen ist die eige­ne Selbst­wahr­neh­mung ent­schei­dend. Es gibt klas­si­sche Aus­lö­ser, soge­nann­te Risi­ko­si­tua­tio­nen, in denen das Ver­lan­gen beson­ders stark wird – etwa die Mit­tags­pau­se, der Fei­er­abend oder bestimm­te emo­tio­na­le Zustän­de wie Stress, Lan­ge­wei­le oder Ein­sam­keit. Wer sich die­ser Situa­tio­nen bewusst ist, kann im Vor­feld Stra­te­gien ent­wi­ckeln, um anders damit umzu­ge­hen. Statt zur Ziga­ret­te zu grei­fen, kann man etwa einen Spa­zier­gang machen oder ein Glas Was­ser trin­ken. Es geht dar­um, neue Ritua­le zu schaf­fen, die das alte Ver­hal­ten ersetzen.

Wenn man aber akut die­ses Ver­lan­gen verspürt?

Dann heißt es: aus­hal­ten und sich aktiv ablen­ken. Der soge­nann­te Sucht­druck ist inten­siv, aber meist nur von kur­zer Dau­er – oft weni­ge Minu­ten. In die­ser Pha­se hel­fen ein­fa­che Hilfs­mit­tel wie ein schar­fes Bon­bon, das die Sin­ne umlenkt, ein Stress­ball zum Drü­cken oder geziel­te Atem­übun­gen. Auch Medi­ta­ti­on oder kur­ze Bewe­gungs­ein­hei­ten kön­nen hel­fen, den Druck zu min­dern. Wich­tig ist es auch, das Ver­lan­gen zu benen­nen – laut oder inner­lich: „Ich spü­re gera­de das Ver­lan­gen, aber ich ent­schei­de mich dage­gen.“ Allein die­ser Satz kann hel­fen, sich vom Impuls zu distan­zie­ren. Wer vor­be­rei­tet ist, wer im Vor­feld bereits Alter­na­ti­ven über­legt hat, hat deut­lich bes­se­re Chan­cen, eine aku­te Ver­su­chung zu überstehen.

Und wenn man es geschafft hat, die sie­ben Wochen ohne – wie fällt man nicht wie­der in alte Ange­wohn­hei­ten zurück?

Nach der Fas­ten­zeit ist die äuße­re Struk­tur oft nicht mehr gege­ben. Des­halb braucht es inne­re Struk­tu­ren: kon­kre­te Zie­le, eine kla­re Moti­va­ti­on und idea­ler­wei­se sozia­le Unter­stüt­zung. Wer sich sagt „Ich will weni­ger Zucker zu mir neh­men“, bleibt im Unge­fäh­ren. Bes­ser ist: „Ich esse abends kei­nen Pud­ding mehr“ – das ist kon­kret und über­prüf­bar. Es hilft auch, sich zu fra­gen: War­um will ich das eigent­lich? Was moti­viert mich jen­seits der Fas­ten­zeit? Was sind mög­li­che Hin­der­nis­se – und wie gehe ich damit um?Hilfreich ist es auch, das Vor­ha­ben mit ande­ren zu tei­len. Gemein­sam mit dem*der Part­ne­rin, Freund*innenoder Kolleg*innen fällt es leich­ter, dran­zu­blei­ben. Und es lohnt sich, sich selbst nicht zu streng zu beur­tei­len: Ver­än­de­run­gen brau­chen Zeit. Klei­ne Rück­schlä­ge gehö­ren dazu.

Wei­te­re Infos

Ein effek­ti­ver Weg, die eige­ne Selbst­kon­trol­le zu stär­ken und Ver­hal­tens­än­de­run­gen nach­hal­tig umzu­set­zen, ist das SKOLL-Selbst­kon­troll­trai­ning. Die­ses Trai­ning rich­tet sich an Men­schen mit ris­kan­tem Kon­sum­ver­hal­ten und zielt dar­auf ab, einen ver­ant­wor­tungs­vol­len Umgang mit Sucht­mit­teln und ande­ren Sucht­phä­no­me­nen zu för­dern. In zehn wöchent­li­chen Sit­zun­gen wer­den indi­vi­du­el­le Zie­le erar­bei­tet, Risi­ko­si­tua­tio­nen ana­ly­siert und Stra­te­gien zur Stress­be­wäl­ti­gung sowie zum Umgang mit Rück­schrit­ten ent­wi­ckelt. Die Cari­tas bie­tet die­ses Trai­ning regel­mä­ßig an ver­schie­de­nen Stand­or­ten an. Inter­es­sier­te kön­nen sich direkt bei den ört­li­chen Cari­tas-Fach­stel­len infor­mie­ren oder wei­te­re Details auf der offi­zi­el­len SKOLL-Web­site einsehen.

Und was tue ich, wenn es trotz­dem nicht klappt?

Dann ist es wich­tig, sich nicht zu ent­mu­ti­gen. Rück­fäl­le sind Teil jeder Ver­hal­tens­ver­än­de­rung – sie zei­gen nicht das Schei­tern, son­dern sind ein Lern­mo­ment. Viel­leicht war das Ziel zu groß, viel­leicht fehl­te die pas­sen­de Stra­te­gie in einer bestimm­ten Situa­ti­on. Wich­tig ist, das Ver­hal­ten zu ana­ly­sie­ren: Was war der Aus­lö­ser? Wie habe ich reagiert? Was könn­te ich beim nächs­ten Mal anders machen?

Es hilft, die eige­nen Fort­schrit­te sicht­bar zu machen – zum Bei­spiel mit einem Tage­buch oder einem Habit-Tra­cker. Vie­le sol­cher Vor­la­gen gibt es kos­ten­los im Inter­net. Wer sei­ne Erfol­ge doku­men­tiert, behält den Über­blick und kann sehen, was schon alles gelun­gen ist. Und das moti­viert, weiterzumachen.

Muss man sich also selbst aus­trick­sen, um sei­ne Zie­le zu erreichen?

Es geht weni­ger ums Aus­trick­sen als ums Vor­be­rei­ten. Vie­le schei­tern an Ver­än­de­run­gen, weil sie nur die posi­ti­ven Sei­ten sehen, aber nicht die Hin­der­nis­se. Wer sich im Vor­feld ehr­lich fragt: „Was kos­tet mich die­se Ver­än­de­rung?“ – zum Bei­spiel Ver­zicht, Dis­zi­plin, Durch­hal­te­ver­mö­gen – kann bes­ser ent­schei­den, ob und wie die­ser Weg für einen selbst gang­bar ist. Rea­lis­ti­sche Zie­le, eine bewuss­te Aus­ein­an­der­set­zung mit Chan­cen und Risi­ken und kon­kre­te Stra­te­gien für schwie­ri­ge Situa­tio­nen sind der Schlüs­sel zum Erfolg. Sobald man die­sen inne­ren Pro­zess durch­lau­fen hat, steht einer nach­hal­ti­gen Ver­än­de­rung kaum noch etwas im Weg.

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